von Armin Uhe 2015
So oder so ähnlich kam es vor einigen Jahren in einem Dorster Jagdrevier zu einem Schrecken in der Abenddämmerung.
Ein Jäger befand sich beim abendlichen Ansitz. Er hatte auch einen guten Anblick auf Rehwild, aber ein zu streckender Rehbock war nicht in Sichtweite. Nach Einbruch der Dämmerung baumte er ab und begab sich zu seinem Auto. Dort angekommen, vernahm er aus dem hinter ihm liegenden Waldstück Hundegebell. Da es sich um das Nachbarrevier handelte, maß er dem Hundegebell keine große Bedeutung zu. Er entlud seine Waffe und verstaute sie in seinem Wagen, einem neuen Modell einer bekannten Automarke. Da noch gute Sichtverhältnisse herrschten, nahm er einen kleinen Umweg entlang der Reviergrenze. So schnell wie er gedacht hatte, sollte er aber heute nicht nach Haus in die gemütliche Stube kommen. Erstens kommt es meist anders und zweitens als man denkt.
Kaum einige hundert Meter entlang des Revieres auf dem Grenzweg gefahren, sah er rechts im Feld ein einzelnes Wildschwein sich langsam dem vor ihm liegenden Waldstück nähern.
Nun ging alles sehr schnell, das Auto anhalten, aussteigen, die Büchse greifen, sie laden und schnell auf dem Autodach in Anschlag gehen. Ein kurzer Blick durch das Zielfernrohr auf das immer noch langsam ziehende Wildschwein, entsichern und abdrücken war dann eins. Gut abgekommen, zog das Wildschwein voller Adrenalin doch noch relativ schnell zu Holze.
Am Rand des Waldstückes befanden sich einige Kirschbäume, die mit vollreifen und offenbar sehr köstlichen Kirschen behangen waren und die vermutlich nicht nur den Wildtieren mundeten. Ein bereits ergrauter Dorster Landwirt verspürte, nach getaner Feldarbeit, beim Anblick der vielen reifen Kirschen großen Hunger. Da es, wie bereits erwähnt, zu dämmern begann, rechnete er auch nicht damit bei seinem Mundraub ertappt zu werden. Doch es kam anders als er dachte.
Genüsslich aß er eine Kirsche nach der anderen, die ihm offensichtlich gut mundeten. Die bereits vor Stunden verzehrten Zwiebäcke mit Muckefuck dazu, hielten nicht lange seinen großen Appetit zurück.
So vertieft beim Genuss der recht süßen Kirschen, hörte er vermutlich nicht den Schuss, den der Jäger auf ein Wildschwein abgegeben hatte. Vielleicht wurde der Schussknall auch durch den Westwind in die andere Richtung getragen. Doch plötzlich hörte er unmittelbar und direkt wenige Meter vor ihm lautes Zerbarsten von Holz-stücken. Die letzte Kirsche blieb im praktisch im Halse stecken, oder vielleicht spuckte er sie auch reflexartig auf das drei Meter vor ihm verendete Wildschwein aus. Genaueres ist hierüber nicht bekannt.
Der Schreck saß ihm vermutlich in allen Gliedern und vielleicht auch im wahrsten Sinne des Wortes in der Hose. Wie erstarrt blickte er auf das vor ihm liegende Wildschwein und hatte keinen Appetit mehr auf Kirschen.
Inzwischen war der Jäger bei ihm angekommen und besah sich das Wildschwein. Ein starker Überläuferkeiler von ca. 50 kg lag vor ihm im Unterholz.
Schnell wurde Hilfe herbei gerufen, der Überläufer geborgen und am Ort des
Geschehens waidmännisch aufgebrochen. Danach wurde die nun nicht mehr schreckhafte „Wildsau“ zur Auskühlung in die Wildkammer bzw. in einen Wildkühl-schrank gehängt. Somit ging für den Jäger ein schöner Jagdtag zu Ende, da er den Schaden an seinem Autodach erst am nächsten Morgen entdeckte.
Ob der Landwirt in den nächsten Jahren wieder am Waldrand Kirschen pflückte, ist nicht bekannt. Er wurde dort nicht mehr beobachtet.
Jägerlatein muss nicht immer stimmig sein.